Sehr früh kam Eberhard W. Kornfeld mit den Werken von Ernst Ludwig Kirchner in Kontakt. Sein Lehrer und Mentor, Dr. August Klipstein, zeigte immer wieder Werke des Expressionismus in seinen Galerieräumen in Bern. Parallel und als Bestandteil der grossen Kirchnerausstellung in der Kunsthalle Bern im Jahr 1933 war die Kirchnergraphik an der Amthausgasse 16 in Bern ausgestellt. Kornfeld, ab 1945 als Volontär bei Dr. August Klipstein tätig, war von Anfang an tief beeindruckt von Kirchners Kunst.
Besonders die Präsentation ausgewählter Kirchnerwerke im Rahmen der Ausstellung «Paula Modersohn und die Maler der Brücke», die 1948 in der Kunsthalle Bern stattfand, hat ihn nachhaltig geprägt und sein Interesse für den Künstler und die Künstlergemeinschaft Brücke geweckt. Die damals ausgestellten Werke stammten aus der geheimnisumwitterten Sammlung «Gervais, Zürich/Lyon», die Kornfeld Jahre später als «Phantom» entlarvte; denn es war der Künstler Christian Laely, der letzte Schüler Kirchners, der dessen Nachlass ordnete und Werke daraus unter dem Sammler-Pseudonym «Gervais, Zürich/Lyon» ausstellen und verkaufen liess (vgl. Lose 66, 79, 84).
Kornfeld sagte über Kirchner, dass er ihn nie hätte persönlich kennenlernen wollen. Kirchner müsse ein äusserst schwieriger und jähzorniger Mensch gewesen sein. Und er wäre vielleicht nie so fasziniert gewesen von diesem einzigartigen Künstler und seinem Œuvre. Kornfeld, geschult an der Graphik Alter Meister, fand in Kirchner einen Seelenverwandten von Dürer oder Rembrandt, die die Druckgraphik nicht einfach als Reproduktionsmittel, sondern die Reproduktionsmöglichkeiten als eigenständige und neue künstlerische Kunstform empfanden. Das Spiel mit Druckstöcken oder Kupferplatten ermöglichte ganz neue Werke; und so erstaunt es eben nicht, dass neben den Druckgraphik- Pionieren Goya, Degas, Gauguin und Munch auch Kirchner so sehr von Kornfeld geschätzt wurde. Kirchners oft im «Eigendruck» oder «Handdruck» hergestellte Kleinstauflagen mussten einen Graphikfreund wie Kornfeld interessiert haben. Er war beeindruckt von verschiedenen Druckzuständen und der ständigen Suche nach Weiterentwicklung eines Motivs.
So seien im vorliegenden Katalog die beiden Holzschnitte «Frau in der Nacht – Portrait Frau Dr. Robert Binswanger, Kreuzlingen» (Lose 80 und 81) erwähnt, von denen Kornfeld den ersten schwarz gedruckten sowie den zweiten, farbig gedruckten Zustand besass. Kornfeld war auch daran interessiert, Skizzen oder Vorarbeiten zur Graphik zu sammeln, um ein möglichst komplettes Bild eines Werks zu haben. Kornfeld kaufte am Anfang Graphik oder Zeichnungen des Meisters, später Aquarelle, Ölgemälde, Plastiken und Gebrauchsgegenstände (u.a. Kirchners Kaffeemühle, seine letzten Malutensilien oder seinen Monogrammstempel, Los 89).
Ebenso wichtig waren für Kornfeld auch die Kirchner-Dokumente: Briefe, Informationen zur Brücke, seltene Kataloge oder die Wohnstätten des Künstlers. So konnten dank Kornfelds finanzieller Unterstützung die Alphütten auf der Stafelalp denkmalpflegerisch renoviert und erhalten werden, wo Kirchner die Sommermonate in den Jahren 1918–1920 verbrachte. Mit dem Erwerb der beiden Wohn- bzw. Atelierhäuser in Davos, 1982 das Haus «In den Lärchen» in Davos Frauenkirch, wo Kirchner bis im Herbst 1923 lebte, und schon anfangs der 1960er Jahre das «Wildbodenhaus» am Eingang des Sertigtales, das dem Künstler bis zu seinem Tod 1938 der neue Lebens- und Schaffensort war.
Um die Häuser für die Nachwelt als Kirchnerstätten zu bewahren, öffnete Kornfeld ab 1964 das «Wildbodenhaus» mit Teilen seiner Kirchnersammlung als «Privatmuseum » jeweils im August für das interessierte Publikum. Aus diesen Präsentationen entstand die Idee für ein Kirchner Museum. Er war denn auch massgeblich an der Eröffnung des ersten festen Kirchner Museums im alten Postgebäude in Davos Platz 1982 beteiligt. Kornfeld galt auch als erster «Kurator» des Museums und er veranstaltete in den ersten 10 Jahren zahlreiche Ausstellungen, oft mit Werken der eigenen Sammlung.
Kornfeld war sicherlich einer der profundesten Kirchnerspezialisten überhaupt. Sein monographisches «Opus Magnum» zu Kirchner gilt bis heute als Standardwerk und seine erst zwei Jahre vor seinem Tod veröffentlichten «Acht Aufsätze zu Ernst Ludwig Kirchner» schlossen seine Jahrzehntelange Forschung zum Künstler eindrücklich ab. Publikationen zu den Kirchnerhäusern oder zu den textilen Arbeiten seien weiter erwähnt. Kornfeld besass wohl eine der grössten Graphiksammlungen Kirchners überhaupt. Dass das Werkverzeichnis von der Druckgraphik, von Günther Gercken in sieben Bänden veröffentlicht, in Kornfelds Verlag in den Jahren 2013–2021 erschienen ist, erstaunt daher nicht.
Auch als Kunsthändler nahm er eine wichtige Rolle in der Vermittlung von Kirchners Kunst ein. Unzählige Werke gingen während seiner langen Tätigkeit durch seine Hände. Er betreute «historische» Kirchnersammlungen über Generationen hinweg und war immer auf der Suche nach neuen «Kirchnerquellen». Im Wissen etwa, dass sich in Davos noch viele Kirchnerschätze finden würden, besuchte Kornfeld die Bauern und Handwerker vor Ort. Alle hatten irgendwann einen Kirchner erhalten, sei es für Dienstleistungen oder als Geschenk – und diese zum Teil zusammengerollten Graphiken entdeckte er in Schubladen und Schränken neu. Die Künstlerin und Weberin Lise Gujer (1893–1967) wohnte zuerst in Clavadel und ab 1940 im Haus «Gruoba» im Sertigtal. Sie war eng mit Ernst Ludwig und Erna Kirchner befreundet und setzte einige Werke Kirchners als «Wirkereien» um. Sie erwarb aus dem Kirchnernachlass Mobiliar und Kunstwerke für ihr Haus und war später für Kornfeld über viele Jahre hinweg eine wichtige Informationsquelle in der Region Davos. In einer Sonderauktion wurden am 15. Juni 1968 Werke aus ihrem Nachlass bei Kornfeld und Klipstein in Bern verkauft.
Kornfeld hat in über 70 Jahren eine der umfangreichsten Kirchnersammlungen zusammengetragen. Einige wichtige Schenkungen hat er auch an Museen gemacht, so das geschnitzte Bett für Erna ans Kirchner- Museum Davos, das Gemälde «Rückkehr der Tiere» von 1919 ans Kunstmuseum Basel oder das im selben Jahr entstandene Ölbild «Junkerboden» ans Kunstmuseum Bern.
Kornfelds Bewunderung für die Werke von Ernst Ludwig Kirchner hielt bis zu seinem letzten Atemzug an, und bis ins hohe Alter ergänzte er seine Sammlung mit Werken.
Dem einzigartigen Wegbereiter der Moderne und des Expressionismus und seinem wichtigen Sammler und Erforscher soll dieser Sonderkatalog mit 41 ausgewählten Werken des Künstlers gewidmet sein. Wir danken der Familie Kornfeld für das grosse Vertrauen in unser Haus, das wir im Sinne Ebis in die Zukunft führen werden.
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